Erfahrungen aus vier Monaten sing@work bei Embru
Aus der Überlegung heraus, wie man die Erfahrung, die wir alle mit dem Singen gemacht haben, am besten sammeln und weiter teilen könnte, entschied ich mich für die „Learning History“, eine Methode, mit der Ergebnisse aus Forschungsprojekten in Erzählform aufbereitet werden. In Geschichten kann man Wissen, das auf persönlicher Erfahrung basiert und daher sehr subjektiv ist, anderen sehr leicht zugänglich machen. Unsere Geschichte soll anderen Menschen aufzeigen, wie bereichernd es sein kann, sich auf neue Erfahrungen, die vielleicht etwas ausserhalb der „Norm“ stehen, einzulassen.
Idee
Meine Idee war, leistungsfreies Singen regelmässig und über längere Zeit in einer Firma anzubieten.
Absicht
Es war meine Absicht, leistungsfreies Singen als Konzept, das gleichermassen Körper, Seele und Geist stärkt, in die Arbeitswelt zu bringen. Hinter sing@work steht die Idee, die Teilnehmenden in
die Lage zu versetzen, am Arbeitsplatz auf einfache und Spass machende Art Verantwortung für ihr Wohl-befinden zu übernehmen und die Wirkungen dieser Art des Singens an sich selbst zu erfahren.
Ich wollte herausfinden, was sich durch das gemeinsame, leistungsfreie Singen verändert, wie es umgesetzt werden kann und aufgenommen wird.
Rahmen
Nach Vorabklärungen zum Interesse an solchen Anlässen starteten wir Anfang November 2017 mit neun Mitarbeitenden, darunter drei Lernende. Diese zogen sich nach kurzer Zeit jedoch wieder zurück.
Es blieben sechs Teilnehmende, drei Frauen und drei Männer im Alter zwischen 31 und 56 Jahren. Teilweise hatten sie sich schon gekannt, da sie beruflich miteinander zu tun hatten, z.T. jedoch
nicht oder nur am Rande. Mir waren alle Teilnehmenden unbekannt.
Was haben wir gemacht?
Von November 2017 bis Februar 2018 haben wir uns jeweils am Mittwoch über Mittag für 45 Minuten zum Singen getroffen. Wir haben – ohne Noten – kurze Lieder aus verschiedenen Kulturen gelernt und
gesungen und sie z.T. mit einfachen Bewegungen oder Tanzfiguren verknüpft. Am Schluss habe ich mit allen Teilnehmenden 1:1 Interviews mit offenen Fragen durchgeführt.
Herausforderungen
Für die Teilnehmenden bestand die Herausforderung darin, sich aus dem geschäftigen Arbeitsalltag zum abgemachten Zeitpunkt zum Singen einzufinden. Zu Beginn war bei einigen auch die Hemmschwelle
zu überwinden, mit anderen zu singen.
Erfahrungen
Was nach den Interviews mit den Teilnehmenden hervorsticht, ist das positive Gruppenerlebnis. Alle erwähnten dies als entweder wichtigste Erfahrung oder später im Interview als bedeutend.
So erwähnte L. (m): „Meine wichtigste Erfahrung war eigentlich, Leute, die ich sonst aus ganz anderen Zusammenhängen kenne, nochmals ganz anders zu erleben. […] dann ist sehr schnell das Gefühl von Gemeinschaft und Sicherheit gekommen und das ist dann für mich eigentlich konstant so geblieben. Ich habe mich dann immer auf den Mittwochmittag gefreut.“
U. (w) formulierte es so: „Man hat einander besser kennen gelernt, auf eine andere Weise und man geht heute anders aufeinander zu, weil man etwas Gemeinsames gemacht hat. Es fällt einem leichter,
obwohl keine Berührungsängste bestanden haben.“
Leistungsfreies Singen – Die Regeln
- Beim Singen gibt es keine Fehler, nur Variationen.
- Singen ist ein Geschenk, das wir uns selbst und anderen machen.
- Entscheidend ist, dass wir aus dem Herzen und mit innerer Beteiligung singen, anstelle von Perfektion.
- Beim Singen geht es um Lebensfreude, Begegnung und Verbundenheit.
Learning History – Die Methode
Das Ziel der „Learning History“ ist das Erfassen und Teilen von Lernerfahrungen, die in einer Gruppe, die etwas Neues ausprobiert, stattgefunden hat.
Die Methode ermöglicht den Einbezug und die Anerkennung verschiedenster Erfahrungen innerhalb der Gruppe und die Verbreitung der Erkenntnisse in Form einer Geschichte mit Orginalzitaten, auch
über die ursprüngliche Gruppe hinaus.
Bradbury, H., Roth, G., Gearty, M. (2017)
Weitere Zitate
Für D. (m) zeigte sich, dass „man den anderen einmal kennen gelernt hat, wie man ihn sonst nie erlebt. Wir bewegen uns in einem freundschaftlichen Miteinander und nicht im Gegeneinander, wo man
einander sagen würde, du kannst aber gar nicht singen. So sehe ich es nur positiv, dass man den anderen Menschen einmal ganz anders kennen gelernt hat.“
Auch B. (w) schätzte das Gruppenerlebnis: „Ich habe mich wohl gefühlt in der Gruppe, obwohl ich sonst die anderen Leute nicht gut kenne. Ich habe nicht mit allen viel zu tun. Das hat nichts
ausgemacht.“
Ebenso erging es A. (m): „Ich verbinde das Singen mit Gemeinschaft.“
Sehr oft kam das Thema der Stressreduktion zur Sprache. Bei manchen Teilnehmenden merkte man gut, dass sie gerade aus einer stressigen Situation kamen und wie sie sich nach kurzer Zeit entspannen
konnten.
So erzählte z.B. U. (w), was ihre wichtigste Erfahrung war: „Wie man durch die Wiederholung der Lieder abschalten lernt. Man kommt in eine andere gedankliche Welt hinein. […] am Anfang kamen alle
so ein bisschen gedrückt und am Schluss waren alle locker drauf, hatte ich das Gefühl.“
Bei D. (w) kam das Thema Stress so zur Sprache: „Was es sicher gibt, ist eine positivere Stimmung. Die schwierigen Situationen sind nicht mehr so schwierig, der Stress ist nicht mehr so gross.
Ich glaube es hat damit zu tun, dass es einem hilft, eingemittet zu sein, bei sich zu sein, für sich etwas zu machen.“
Und D. (m) drückte es so aus: „was noch Spass macht, das ist eigentlich die Situation, wo ich völlig genervt gekommen bin. Wenn du dich noch daran erinnern kannst, als du gesagt hast, willst du
ein bisschen trommeln. Man hat dann immer systematisch gemerkt, wie man von den Gedanken weg gekommen ist.“
Freude und Spass, die sich nach einigen Liedern als Gefühl einstellten und den weiteren Arbeitstag bereicherten, wurden häufig genannt.
Dass auch Veränderungen bemerkt wurden, illustrieren folgende Zitate.
L. (m): „dass ich wirklich auch ein paar Ohrwürmer habe, die ich innerlich vor mir her summe. Das habe ich sonst sicher lange nicht mehr gemacht.“
U. (w): „Mir kommen die Lieder viel in den Sinn. Ich singe viel zu Hause, z.B. beim Staubsaugen. […] der Nachmittag war viel entspannter – eindeutig. Wirklich, dieser Nachmittag ging so gut, es
ist einfach gelaufen. Das ist eine ganz spannende Erfahrung.“
B. (w): „dass ich nach dem Singen am Mittwoch immer völlig locker war oder einfach zufrieden oder glücklich. Ich weiss auch nicht. Habe mich einfach gut gefühlt. […] Ich habe dem Enkel meines
Part-ners einmal ein Lied vorgesungen, das „lache in die Welt hinein“, ich habe mich getraut und das finde ich schön. Man ist nicht mehr so schüchtern. Das hätte ich früher wahrscheinlich nicht
gemacht.“
Auch die Frage zur Durchführung der Anlässe wurde gestellt.
Abschliessend ein paar Rückmeldungen dazu. D. (m): „Ich fand es sehr gut. Du bist ja immer für einen Spass zu haben. […] das erlebt man sehr, sehr selten, dass man Trainer oder Moderatoren hat,
die das wirklich gut gestalten. Wirklich sehr, sehr wenige, und darum auch ein grosses Lob an dich.“
Eine Dreiviertelstunde Gelassenheit
D. (w): „Sehr gut! Ich finde, du gibst eine extrem gute Art und Weise vom Umgang mit Fehlern weiter. Das ist extrem positiv für Menschen in den Betrieben, das ist sehr wichtig. Und auch sonst –
es war sehr schön – du bist jede Woche gekommen und hast für uns eine Mitte gestaltet. Das ist ein grosses Geschenk.“
B. (w): „Also top und das sage ich jetzt nicht einfach so. Wirklich, ich finde es eine ganz gute Art, so unauf-geregt. Und wir haben von der ersten bis zur letzten Minute gesungen. Es ist nicht
irgendwie ausgeleiert oder gab ein „Geschwätz“. Ich fand es wirklich super.“
Erkenntnisse
Gemeinsames, leistungsfreies Singen im Arbeitsumfeld macht Spass und Freude. Es bereichert den Arbeitstag und ermöglicht es, ArbeitskollegInnen in einem völlig anderen Kontext kennen zu lernen.
Es hilft, Anspannung loszulassen und ganz im Moment zu sein, ohne an Problemen vergangener oder zukünfti-ger Arbeitssituationen herum zu studieren. Es ist eine Chance, die eigenen Grenzen im
Zusammenhang mit Offenheit gegenüber anderen Menschen auszuloten und zu erweitern.
Aus meiner ganz persönlichen Erfahrungen möchte ich noch ergänzen: Singen (oder auch allgemein meine Stimme) moduliert meine Emotionen und umgekehrt. Beim Singen fühle ich mich lebendig und im
Flow und nehme mich als Teil der lebendigen Erde wahr. Menschen, die miteinander singen, schwingen sich gemeinsam in dieses Leben, diese Lebendigkeit mit ein. Das ist ein grosses Geschenk an uns
und an die Welt. Mögen wir es bewahren, auch wenn wir gerade nicht aktiv singen.
März 2018: Das sing@work Team mit Doris Hauser (Singleiterin)
Quellen
Bradbury, H., Roth, G., Gearty, M. (2017). Pre-print of chapter 3, The practice of learning history: local and open system approaches in The sage handbook of action research. London: Sage.
Helle, M. (2018). Stimme drückt Stimmung aus. http://www.miriamhelle.ch/6122355/die-stimme Zugriff am 10.2.18
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